Rede von Leyla Gündüzkanat

Rede von Leyla Gündüzkanat
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kittel,
sehr geehrter Herr Dr. Kossert,
sehr geehrte Damen und Herren

liebe Gäste,

im Namen der Föderation der Dersim Gemeinden begrüße ich Sie herzlich. Wir bedanken uns sehr bei der Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung für diese Veranstaltung, um einen fast vergessenen Völkermord ans Tageslicht zu bringen. Ebenso möchte ich mich für die Unterstützung von Frau Hirsch und Herrn Zimmermann bedanken.

Wir alevitischen Kirmanc/Zaza und alevitischen Kirdas/Here Were sprechenden lebten vor hundert Jahren, noch vor 1915, in der Region Dersim viel Sprachig und friedlich mit Armeniern zusammen. Kurz nach den Übergriffen auf unsere armenischen Nachbarn wurden auch wir Opfer eines unbegreiflichen Pogroms. Noch vor dem Beschluss des türkischen Kabinetts vom 04.05.1937 hatte das türkische Militär mit Bombardierungen von Dersim begonnen. Doch diesen Tag, den 04.05., haben wir als unseren Gedenktag an die ermordeten Menschen und an das Massaker von Dersim festgelegt.

Alle Rechtfertigungsversuche für die begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit scheitern, und so ist auch der Völkermord an den Dersimern nicht zu rechtfertigen. Wir passten mit unserem İtıqatê Dêsim Glauben nicht zum sunnitischen Türk-Menschenbild.

Ein verantwortungsbewusster Staat sorgt für die Aufarbeitung eines von ihm begangenen Unrechtes, um weitere Verbrechen zu vermeiden. Hier dient Deutschland als ein sehr gutes Beispiel, doch leider ist die Türkei noch nicht so weit. Sogar die Fakten über das Ausmaß des Dersim-Völkermord sind durch politische Kalküls vernebelt, und so hat es in den letzten 75 Jahren keine nennenswerten, unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchungen gegeben.

Immerhin: 2011 hat sich der türkische Ministerpräsident Erdogan offiziell entschuldigt. Für die Aufarbeitung war diese Entschuldigung ein sehr wichtiger Schritt, leider folgten bis jetzt keine Taten. Noch immer werden wichtige Dokumente unter Verschluss gehalten, z.B. ist auch die Liste der verschollenen Mädchen immer noch nicht veröffentlicht. Das – als ein Beispiel – wäre ein konkreter Schritt, um vielen, noch lebenden Menschen bei der Suche nach ihren Verwandten zu helfen. Auch die offiziellen Zahlen mit 13.806 getöteten Menschen stimmen nicht, vermutlich waren es um die 50.000. Die Repressionen in der Region Dersim endeten auch in den letzten vierzig Jahren nicht. Die Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und der PKK fügten Dersim zudem einen noch nicht genau abzuschätzenden Schaden zu mit vielen Tausend Toten, mehreren Tausend Inhaftierungen mit Folgeschäden und mehreren Hundert zerstörten Dörfern. Und naturgemäß der Vertreibung. So sind wir Dersimer überall auf der Welt, nicht aber da, wo unsere Wurzeln sind.

Um die 200.000 Dersimer leben in Deutschland, viele von ihnen sind gut integrierte deutsche Staatsbürger. Wir – in der zweiten und dritten Generation oft auch gut ausgebildet, oft auch Akademikerinnen und Akademiker – wir sind die Kinder der vor 45 Jahren hier in Deutschland angeworbenen, zutiefst traumatisierten und im Bezug auf ihre Identität verunsicherten Hilfsarbeiter.

Über Jahrzehnte hinweg haben unsere Eltern schweigen müssen, geredet wurde nur hinter vorgehaltener Hand. Die Angst ging mit ihnen in die Welt, so wurde auch hier in Deutschland lange nicht gesprochen. Sie hatten Eltern und Verwandte verloren, wurden als Kinder Zeuge von Massenexekutionen, bei denen sie teilweise unter Leichen begraben wurden und nur so überleben konnten, oder sind mit den unbegreiflichsten, grauenhaften Geschichten über dieses Massaker aufgewachsen.Heute verstehe ich die unermessliche Trauer und die Sprachlosigkeit meiner Mutter und meines Vaters besser. Mutters Urgroßvater wurde Anfang 1900 hingerichtet, weil er ein alevitischer Dede war. 1925 wurde ihr Großonkel, einer der ersten Abgeordneten im türkischen Parlament, hingerichtet. Dann schließlich, während der Massaker von 1937 und ’38, verlor sie nicht nur einzelne Verwandte: – ganze Familien aus ihrer Verwandtschaft wurden ausgelöscht oder deportiert.

Auch die Schwierigkeit meines Vaters, über seinen Großvater zu sprechen, der mit 14 Gefolgsleuten erschossen wurde, verstehe ich heute. Ich verstehe den Schmerz hinter dem Schweigen.

Insbesondere auf Grund meiner akademischen Ausbildung hier in Deutschland weiß ich, wie wichtig es ist, sich bei der Aufarbeitung den Erinnerungen zu stellen und das Schweigen zu brechen.

Mit dieser Veranstaltung haben wir die Möglichkeit erhalten, den Völkermord an uns Dersimern öffentlich zur Sprache zu bringen. Als mehrheitlich gut integrierte deutsche Staatsbürger brauchen wir aber die Unterstützung durch unsere deutsche Regierung – gerade auch in Bezug auf die historische Aufarbeitung und die Entwicklung einer angemessenen Gedenkkultur mit Gedenktagen und Gedenkstätten.

Mit unserem Dachverband – dem “Föderation der Dersimgemeinden”- haben wir bereits das Schweigen gebrochen und bei der Aufarbeitung unserer Geschichte einen sehr konkreten, unschätzbaren Dienst geleistet: mit fast 350 Zeitzeugeninterviews und mit fast 1000 Stunden Rohmaterial haben wir das bisher Verschwiegene ans Tageslicht geholt und so ein politisches Bewusstsein über den Völkermord entwickelt und geschärft. Diese Interviews dienen einerseits unserem kollektiven und individuellen Gedächtnis, andererseits als eine wichtige Quelle für die wissenschaftliche Forschung. Um sie der Öffentlichkeit und der Forschung zur Verfügung stellen zu können, sind wir jedoch auf Hilfe angewiesen, um sie archivieren und übersetzen zu können. Leider reichen unsere eigenen fachlichen und finanziellen Ressourcen nicht mehr, um die Masse der Zeitzeugeninterviews abschließend bearbeiten zu können.

Wir erhoffen daher vom deutschen Staat und seinen Organen zweierlei:

einerseits eine finanzielle und organisatorische Unterstützung bei der erwähnten Erschließung und Veröffentlichung der Zeitzeugenberichte.

Zum anderen erbitten wir Orte des Gedenkens, ähnlich derer von den verfolgten und ermordeten Juden, Sinti, Roma und anderer. Nicht das der deutsche Staat eine Verantwortung gegenüber den Massakern in Dersim trüge. Bei weitem nicht. Als Bürger dieses Landes aber wäre es Beispielgebend (auch für viele andere Staaten), wenn auch wir Dersimer hier in Deutschland sichtbare Orte hätten, an denen wir unserer Geschichte gedenken und unsere Kultur als Deutsche mit alevitischen Wurzeln pflegen könnten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Leyla Gündüzkanat (29.04.2013)

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