Gespräch der FDG-Delegation mit dem stell. türkischen Ministerpräsidenten Bülent Arınç am 2. Dez. 2011

Gespräch der FDG-Delegation mit dem stell. türkischen Ministerpräsidenten Bülent Arınç am 2. Dez. 2011
Eine Delegation unter der Leitung des Vorsitzenden der Europa-Föderation der Dersim-Vereine (FDG) Yaşar Kaya hat den stellvertretenden türkischen Ministerpräsidenten Bülent Arınç besucht.
Die Delegation, der auch der Urenkel von Seyid Rıza, Rüstem Polat, angehörte, dankte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan für seine Erklärung: „Wo sich der Staat im Zusammenhang mit den Vorfällen von Dersim entschuldigen muss, da würde ich mich gern dafür entschuldigen und so entschuldige ich mich jetzt ausdrücklich dafür.“ Ferner dankte die Delegation auch Arınç für seine Worte, es sei möglich, „einen Ausschuss mit der Zielsetzung der Aufarbeitung der Geschichte zu gründen“.

Yaşar Kaya sagte: „Wir sind unserem Herrn Ministerpräsidenten zu Dank verpflichtet. Was die Machenschaften in Dersim im Jahr 1937 angeht, so hat er die Einwohner von Dersim durch die Äußerung seines Bedauerns getröstet. Durch diese Erklärung ist in der Türkei neben die bisherige offizielle Geschichtsdarstellung nun das Geschichtsregister der tatsächlichen Ereignisse gestellt worden.“ Die Delegation forderte Unterstützung für die Einrichtung eines Ausschusses im Parlament, um die Vorfälle in Dersim im Jahr 1937 zu untersuchen.

Der stellvertretende Ministerpräsident Arınç empfing den Vorsitzenden der Europa-Föderation der Dersim-Vereine Yaşar Kaya, den Generalsekretär der Europa Dersim-Vereine Kemal Karabulut, den Urenkel von Seyid Rıza, Rüstem Polat und den Zweiten Vorsitzenden der Europa-Föderation der Dersim-Vereine İbrahim Aktaş.

-“Ein Geschichtsregister der wahrheitsgemäßen Darstellung der historischen Ereignisse ist eröffnet worden“-

Der Leiter der Delegation Yaşar Kaya begann seine Erklärungen bei dem Gespräch, das im Amtszimmer von Arınç im Amt des Ministerpräsidenten stattfand, mit Genesungswünschen an Ministerpräsident Erdoğan, der sich einer Operation unterziehen musste. Kaya sagte weiterhin: „Wir sind ihm zu Dank verpflichtet. Was die Machenschaften in Dersim im Jahr 1937 angeht, so hat der Herr Ministerpräsident die Einwohner von Dersim durch die Äußerung seines Bedauerns getröstet. Diese Äußerung ist unserer Meinung nach eine sehr wichtige Erklärung. Durch diese Erklärung ist in der Türkei neben die bisherige offizielle Geschichtsdarstellung nun das Geschichtsregister der tatsächlichen Ereignisse gestellt worden, und die erste Seite dieses Registers der historisch korrekten Geschichtsdarstellung beginnt mit Dersim. Unser Ministerpräsident hat diesbezüglich einen sehr wichtigen Schritt unternommen. Wie die folgenden Seiten dieses Registers nun wiederum gefüllt werden sollen, was man zukünftig alles in dieses Register aufnehmen will, obliegt als Last gänzlich der türkischen Gesellschaft und ist von ihr zu schultern. Es geht darum, wie wir uns der Geschichte stellen wollen.“

-„Wir messen der Erklärung unseres Ministerpräsidenten eine sehr hohe Bedeutung bei.“-

Der Vorsitzende der Europa-Föderation der Dersim-Vereine Yaşar Kaya sagte: „Nach den Erklärungen unseres Ministerpräsidenten ist die Welt nicht untergegangen. Ganz im Gegenteil – sie haben zu einer Entspannung der Lage geführt“. Er brachte ferner zum Ausdruck, dass sich bei den Bewohnern von Dersim nach den Erklärungen von Erdoğan die Ansicht herausgebildet habe: „ Ja, unser Schmerz wird verstanden; ja, unsere Wunde wird wahrgenommen.“

Yaşar Kaya äußerte sich dazu ferner folgendermaßen: „Die Wunde von Dersim hatte sich nie geschlossen. Von außen erschien es so, als ob sie sich geschlossen hätte, aber nach innen blutete sie weiter. Die Türkei hat heute nunmehr in Hinsicht darauf, sich ihrer eigenen Geschichte zu stellen, einen sehr großen Schritt nach vorne getan. Wenn man sich mit seiner eigenen Geschichte konfrontiert und sie sich ins Gedächtnis zurückruft, kann der Prozess der Versöhnung eingeleitet werden. Ohne diese geschichtliche Aufarbeitung kann leider auch keine Versöhnung erfolgen. In dieser Hinsicht messen wir der Erklärung unseres Ministerpräsidenten eine sehr hohe Bedeutung bei.“

  • „Die Gründung eines Ausschusses ist sehr wichtig“-
    Yaşar Kaya , der dem stellvertretenden türkischen Ministerpräsidenten Bülent Arınç für seine Erklärung dankte, bezüglich der Vorfälle in Dersim könne „ein Ausschuss mit dem Auftrag der Aufarbeitung der Geschichte“ gegründet werden, erklärte in diesem Zusammenhang: „Auch Ihrer Erklärung messen wir einen hohen Stellenwert bei. Auch Ihnen sind wir zu Dank verpflichtet. Die Einsetzung eines solchen Ausschusses ist sehr wichtig. Vor dem Gespräch mit Ihnen hatten wir bereits eine Unterredung mit Kemal Kılıçdaroğlu und haben ihm unsere Forderungen übermittelt. Wir kommen gerade von diesem Treffen.

Es muss dafür gesorgt weden, diese Angelegenheit aus dem tagespolitischen Streit und der Polemik zwischen den Parteien herauszuhalten. Nach unserer Überzeugung wäre es besser, sie als Menschenrechtsproblematik und gesellschaftliche Wunde zu behandeln und untereinander das Gespräch darüber zu suchen, wie der damit einhergehende Schmerz einer Linderung zugeführt werden kann. Da es gegenwärtig immer noch Menschen gibt, die mit den ihnen zugefügten Schusswunden und Bajonettverletzungen von damals leben, wäre es der Sache angemessener, sich dabei einer Sprache zu bedienen, die den Erinnerungen dieser Menschen, ihrem Schmerz und ihrem Andenken Respekt zollt. Es wäre indessen nicht richtig, so zu tun, als gäbe es diese Wunde gar nicht und zu versuchen, sie einfach zu überdecken.Vielmehr muss man sich ihrer Existenz stellen; hinsichtlich der Geschichte der Türkei könnte dies zu einer Chance für Demokratie, ein Zusammenleben in Frieden und Aussöhnung werden.”

-“Die Gräber sollen geöffnet werden, die zwangsadoptierten Kinder sollen aufgefunden werden” –

Yaşar Kaya, der zum Ausdruck brachte, dass er dazu bereit sei, die Arbeit des Ausschusses zu unterstützen, sagte ferner:
“Die Bevölkerung von Dersim hat sich zu keiner Zeit von Rachsucht und Groll leiten lassen. Wir haben mit über 250 Personen, die Zeuge der Vorfälle von 1937 waren, diesbezüglich Gespräche geführt. Mit Ausnahme einer Person hat niemand ein zornige Wort gebraucht. Niemand hat Worte des Abscheus benutzt. Die Befragten haben allerhöchstens gesagt: “Wir haben unsere Sache vor Gottes Propheten im Himmel gebracht, damit er uns in unserer Not zu Hilfe komme.Wir haben unsere Sache dem höchsten Gericht, der Gerichtsbarkeit Gottes, anheim gestellt.” Diese Haltung rührt aus unseren Überzeugungen, aus dem, was wir glauben. Wir denken, dass es hinsichtlich des Aspektes der Aufarbeitung der Geschichte seitens der Türkei sehr wichtig sein wird, sich klarzumachen, wie groß der Schmerz dieser friedliebenden Volksgruppe ist!”

Kaya unterteilte die Forderungen der Bevölkerung von Dersim nach “Öffnung der Gräber, Öffnung der Archive, Auffindung der zwangsadoptierten Kinder” in kurzfristige, mittelfristige und langfristige Forderungen und führte aus: “Unsere Wünsche bestehen darin, dass als allererstes die CHP und die AK-Partei zusammenkommen und eine Absichtserklärung hinsichtlich des zu gründenden Ausschusses abgeben. Dies ist nicht Angelegenheit einer Partei allein… Und so fordern wir, dass dies als parteiübergreifendes Problem behandelt wird. Wenn es etwas gibt, das wir diesbezüglich tun können, so sind wir bereit, unseren Beitrag dazu zu leisten. Wenn in diesem Ausschuss auch die Bevölkerungsgruppe von Dersim repräsentiert wäre, so wäre dies nur recht und billig. Denn es wäre nur angemessen, wenn auch sie als Geschädigte dort vertreten wären.”

-“Die Erklärung unseres Ministerpräsidenten hat mich bewegt”-

Auch der Nachkomme von Seyid Rıza Rüstem Polat übermittelte zunächst seine Genesungswünsche an Ministerpräsident Erdoğan und sagte dann: „Ich habe mich über die Erklärung unseres Ministerpräsidenten sehr gefreut und war bewegt. Meine Bitte besteht darin, dass es über das Parlament zu einer Lösung kommt. Man soll endlich aufdecken, wo die Gräber sind. Schon seit Jahren ist dies unser sehnlichster Wunsch. Man soll uns sagen, wo die Gräber sind, damit wir dort beten und unsere Opfer darbringen können. Gegebenenfalls wollen wir dort ein Denkmal errichten. Nur das wollen wir; wir haben keinerlei Hintergedanken.” Auf die Frage des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bülent Arınç hin erklärte Rüstem Polat, er sei sowohl mütterlicher als auch väterlicherseits der Urenkel von Seyid Rıza, weil sein Vater und seine Mutter als Cousin und Cousine väterlicherseits verwandt seien: „Meine Mutter und mein Vater sind die Enkel von Seyid Rıza . Ich bin also der Urenkel. Mein Urgroßvater Seyid Rıza hatte eine Tochter. Meine Tante väterlicherseits ist noch am Leben. Unsere Dörfer sind verfallen. Dort ist niemand mehr. Ich lebe schon seit 16 Jahren in Deutschland. Aber ich sehne mich nach unseren Dörfern.“

-“Die meisten Exilierten wurden nach Eskişehir, Bursa und Aydın verbracht“-

Auf die Frage des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bülent Arınç bezüglich der exilierten Bewohner von Dersim: „In welche Orte der Türkei wurden die Exilierten hauptsächlich verbracht?“ entgegnete der Vorsitzende der Europa-Föderation der Dersim-Vereine Yaşar Kaya:
„Sie wurden in die Provinzen westlich von Kayseri geschickt. Jedem Dorf wurde lediglich eine Familie zugewiesen. Der betreffenden Familie war es untersagt, in ein anderes Dorf zu ziehen. Sehr oft siedelte man die Menschen auch in Städten wie Eskişehir, Bursa und Aydın an.“

  • “Sie berichtete von der Ermordung schwangerer Frauen“-

Der Generalsekretär der Föderation der Europa Dersim-Vereine Kemal Karabulut wiederum gab folgenden grauenhaften Vorfall wieder, von dem ihm seine Mutter vor 10 Jahren berichtet hatte:
“In unserem Dorf gab es unter den Menschen, die man auf dem Dorfplatz zusammengetrieben hatte, um sie niederzumetzeln, auch zwei hochschwangere Frauen. Einer der Dorfältesten, ein würdiger alter Mann, flehte den Offizier an: “Bitte, gib uns doch wenigstens etwas Zeit, damit diese Frauen ihre Kinder gebären können! Ich gebe Dir mein Ehrenwort, dass ich sie danach zu Euch bringe und euch übergeben werde. Daraufhin gab es kurz Unruhe unter den Soldaten, aber danach kamen sie zu einem felsigen Abhang, den es immer noch in unserem Dorf gibt, und der Offizier erstach auch diese beiden schwangeren Frauen und warf sie den Felsabhang hinunter.”

Karabulut sagte:”Herr Minister, wir sind mit diesen grauenhaft schmerzlichen Vorfällen aufgewachsen, und darüber hinaus wurde auch noch Geschichtsverzerrung betrieben! Man versucht, diesen wehrlosen Menschen einzureden, die Greuel seien von “Banditen” begangen worden. Wir fordern, dass diese schmutzigen Praxis korrigiert wird. Deshalb bitten wir Sie, uns bezüglich der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zur Wahrheitsfindung zu unterstützen.”

-“Dersim-Kalender in Zazaca“-

Die Delegation überreichte dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Arınç als Geschenk einen im Zazaca-Dialekt verfassten Kalender, in dem spezielle für Dersim typische religiöse Feiertage und Kulturtage abgebildet sind.

Arınç unterhielt sich mit dem Urenkel von Seyid Rıza, Rüstem Polat, über eine Fotografie, die seinen Urgroßvater mit Filzhut zeigt und sagte, indem er die Fotografie aus der Zeitschrift in seiner Hand betrachtete: „Das muss ein Foto sein, das unmittelbar vor seiner Hinrichtung gemacht wurde… Gott möge sich seiner Seele erbarmen! Auf dem Foto wirkt er sehr mühe und erschöpft.“

-“Und die Knochen liegen unter freiem Himmel im Massengrab…“-

Yaşar Kaya, der dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Arınç ein Dossier überreichte, das aus Fotografien des Archivs seines Vereins besteht, sagte: „Wir haben einen Zeugen gefunden, der erklärt hat, dass jede einzelne der Personen auf der Fotografie, die Sie in der Hand halten, umgebracht wurde, nachdem dieses Foto gemacht wurde.“

Kaya sagte ferner: „Aus den Dörfern rund um Erzincan wurden 100 Personen zusammengetrieben und nach einem Fußmarsch von 3 Tagen auf dem Gipfel eines Berges umgebracht. Diese Knochen liegen dort immer noch unter freiem Himmel. Auch heute noch gibt es Verwandte dieser Menschen unter uns. Wir haben uns an die Staatsanwaltschaft gewandt mit der Forderung, diese Knochen einem DNA-Test zu unterziehen… Aber die Staatsanwaltschaft hat dies leider abgelehnt.. Die Knochen liegen immer noch unter freiem Himmel.“

-“Wir haben mit 250 Zeugen gesprochen“-

Yaşar Kaya, der berichtete, dass sie an einem Projekt arbeiteten, dem sie den Namen „ Die Kinder von Dersim 1937-1938“ gegeben hätten, sagte außerdem: „Wir betreiben ein Projekt mit dem Namen: “Was sich in Dersim zugetragen hat“. Die Durchführung des Projektes entspricht internationalen Standards. Wir haben mit 250 noch lebenden Zeugen gesprochen. Darunter sind zwei, die als Soldaten in Dersim waren. Fünf dieser Zeugen wurden aus Dersim verschleppt und anschließend als Kinder zwangsadoptiert. Bei den restlichen Zeugen handelt es sich um Personen, die die Vorfälle in den Jahren 1937-1938 als Kinder miterlebt haben. Wir möchten Ihnen eine CD eines 10 minütigen Mitschnitts eines Gesprächs übergeben, das wir mit einem der oben erwähnten Soldaten geführt haben. Dieser Soldat lebt gegenwärtig in Bodrum bei seinen Kindern. Er ist über 100 Jahre alt und berichtet völlig ungeschönt über die Greuel von Dersim in all ihrer nackten Brutalität .“

AA (Ajans Anatolien)

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